Die Wachstumsfrage
„Kann stetiges Wirtschaftswachstum nachhaltig sein oder gibt es keine Alternativen zu einer Abkehr vom Wachstumsparadigma? Welche unterschiedlichen Ansätze von Politikern und Wirtschaftswissenschaftlern gibt es zu dieser Frage?“
Hintergrund
Auf der Suche nach den Ursachen für das Problem der zunehmenden Ressourcenverknappung und den damit verbundenen Folgen für Umwelt und Menschen stellen sich immer mehr Menschen die Frage, ob unbegrenztes Wirtschaftswachstum möglich und sinnvoll ist. Verankert wurde das Ziel eines stetigen und angemessenen Wirtschaftswachstums im „Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft“, das 1967 unter Konrad Adenauer verabschiedet wurde. Der Grund dafür, dass dauerhaftes Wachstum als eines von vier Idealen deutscher Wirtschaftspolitik ausgewählt wurde, liegt darin, dass Wirtschaftswachstum helfen kann, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Denn ohne Wachstum würde die Zahl der Arbeitslosen jährlich zunehmen, da Unternehmen zunehmend effektiver produzieren und weniger Arbeitskräfte benötigen. Bei einer durchschnittlichen Produktivitätssteigerung von 1% pro Jahr bedeutet dies, dass das jährliche Wirtschaftswachstum ebenfalls mindestens 1% betragen muss, damit die Arbeitsplätze nicht wegfallen.
Als Indikator für Wachstum wird hierbei das BIP verwendet, da es einen einfachen Vergleich mit der Situation der Vorjahre und anderer Länder ermöglicht. Doch auch wenn das BIP als mathematisch berechenbarer Indikator sehr objektiv und klar erscheint, ergeben sich bei seiner Anwendung einige Probleme. Beispielsweise führen Naturkatastrophen zu einem Anstieg des BIP und täuschen eine gute wirtschaftliche Situation in einem Land vor, obwohl sie viel Leid verursachen und auch wirtschaftlich einem Land eher schaden. Auch die gängige Assoziation eines hohen BIP mit einem höheren Maß an Wohlstand ist kritisch zu betrachten, da Wachstum auf sehr unterschiedlichen Wegen erreicht werden kann und nicht unbedingt immer nachhaltig und gut für die Menschen sein muss. Ganz im Gegenteil kann eine verschwenderische Lebensweise zu einem höheren BIP führen, gleichzeitig aber auch Umweltzerstörung zur Folge haben.
Deshalb stellt sich die Frage, ob ein Festhalten am Ziel des Wirtschaftswachstum – ausschließlich quantitativ und nicht qualitativ bemessen durch das BIP - wirklich gut für unsere Gesellschaft ist und wirklich zu einer Verbesserung der Lebenssituation der Menschen beiträgt. Es gibt zunehmend Wirtschaftswissenschaftler, die überzeugt sind, dass Wachstum anders gestaltet und bemessen werden muss, damit es langfristig positive Auswirkungen auf die Menschen hat und die deshalb eine nachhaltigere Gestaltung von Wachstumsprozessen fordern. Zudem gibt es Wissenschaftler, die überzeugt sind, dass Nachhaltigkeit und Wirtschaftswachstum zwei unvereinbare Zielgrößen sind und deshalb eine vollständige Abkehr vom Wachstumsparadigma notwendig ist. Im Folgenden werden deshalb zwei alternative Konzepte zum Thema Wachstum vorgestellt, die von Wissenschaftlern und Politikern als Lösung für die durch Wachstums verursachten Problemen entworfen wurden.
Green New Deal vs. Postwachstumsökonomie
Aus der Wachstumskritik haben sich zwei unterschiedliche Lösungskonzepte entwickelt, die sich inhaltlich in zentralen Punkten unterscheiden. Zum einen gibt es den „Green New Deal“, ein Konzept, das vor allem von grünen Politikern propagiert wird und zum Ziel hat, Wachstum in Einklang mit Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit zu bringen. Zum anderen gibt es die Postwachstumsökonomie, die eher mit linker Politik assoziiert wird und grundsätzliche Alternativen zum Wachstum fordert, da sie Nachhaltigkeit bzw. soziale Gerechtigkeit und Wachstum für nicht miteinander vereinbare Ziele hält.
Green New Deal
Der Begriff Green New Deal „ist eine moderne Abwandlung des New Deal in den USA, ein Anfang der 1930er Jahre vom damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt ins Leben gerufenes ehrgeiziges wirtschaftliches und soziales Reformprogramm (…) Der neue (…) ‚Green New Deal‘ geht ebenfalls von der zentralen Bedeutung entschlossenen staatlichen Handelns aus, konzentriert sich aber auf Politiken zur Reaktion auf die drängenden ökologischen Herausforderungen – und dies im Rahmen eines nachhaltigen wirtschaftlichen Fortschritts“. So beschreiben Hilary French, Michael Renner und Gary Gardner in der Einleitung ihres Strategiepapier „Auf dem Weg zu einem Green New Deal“ (herausgegeben von der Heinrich Böll Stiftung 2009) die Grundidee hinter dem Begriff „Green New Deal“. Inhaltlich sieht ihr Konzept, das auch eine Reaktion auf die Finanzkrise 2009 war, einen Umbau der Wirtschaft durch grüne Konjunkturpakete und Investitionen, Berufsausbildungsprogramme „zur Schaffung und Erhaltung ‚grüner Jobs‘“ und eine Reform des Steuersystems vor, durch die die Steuern auf Arbeit reduziert und im Gegenzug Umweltabgaben erhöht werden. Als Schlüssel für das Gelingen einer Wende im Sinne des Green New Deal sehen sie die transatlantische und internationale Kooperation, da die Herausforderung, den Klimawandel abzuwenden und eine ökologischere Wirtschaft zu schaffen, nur gemeinsam zu bewältigen sei. Die Vorreiterrolle käme hierbei den entwickelten, wirtschaftsstarken Staaten zu, da sie die finanziellen Ressourcen und Kapazitäten hätten, in neue Technologien und Strukturen zu investieren, die dann von Entwicklungsländern und anderen Staaten übernommen werden könnten.
Bündnis 90/die Grünen hat das Konzept des Green New Deal in politischen Forderungen konkretisiert. Sehr aktuelle Forderungen finden sich hierbei im Fraktionsbeschluss vom 30. Juni 2015 der Partei: „Green New Deal: In die Zukunft Europas investieren“. In diesem Beschluss werden konkrete Vorschläge für eine nachhaltigere Ausrichtung der Wirtschaft vorgestellt. Im Zentrum steht hierbei die Forderung nach „gezielten Initiativen zur Stärkung von privaten und öffentlichen Investitionen“, da diese sowohl einen ökologischen Wandel bewirken, als auch für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen könnten: „Durch Investitionen werden Arbeitsplätze geschaffen, die Einkommen der Beschäftigten steigen und die Nachfrage wird gestärkt“. Die Investitionen sollen dabei vor allem im Bereich der Infrastruktur getätigt werden: „Europa braucht mehr Investitionen in Energienetze, Energieeffizienz, Erneuerbare Energien, Schieneninfrastruktur, schnelles Internet sowie Bildung und Forschung“. Auch ein Umdenken in der Agrarpolitik ist Teil der Forderungen – anstelle von industriell wirtschaftenden Großbetrieben soll die EU „gezielt bäuerliche Betriebe unterstützen, die umwelt- und tierverträglich wirtschaften“. Finanziert werden könnten diese Investitionen laut Fraktionsbeschluss durch eine Kombination von Maßnahmen – „Entrümpeln, Umschichten, Subventionsabbau und höhere Einnahmen“. Mittel für Investitionen könnten etwa aus dem „European Fund for Strategic Investments“ (EFSI), dem geplanten Investitionspaket der EU-Kommission, entnommen werden, aber auch durch „Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer (FTT)“, durch eine effektivere Bekämpfung von Steuervermeidung und –hinterziehung, den Abbau von Subventionen sowie durch „die Einführung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftssteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) und eine europaweite Koordination der Unternehmensbesteuerung“ generiert werden. Zudem sollen im Bereich der Finanzmärkte und Banken stärkere Kontrollen und Regulierungsmechanismen für nachhaltige Finanzstabilität sorgen und verhindert werden, dass „die reichsten Lobbyinteressen weitaus mehr Macht und Einfluss als Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen haben“. Dies könne geschehen, indem „wir für fairen Wettbewerb sorgen und monopolistische Strukturen in der europäischen Wirtschaft aufbrechen“. Besonders wichtig sei hierbei die Schaffung eines eigenständigen europäischen Kartellamts, da dieses die Kompetenz hätte, europaweit und unabhängig einzugreifen.
Um nicht nur eine Wende in Richtung mehr Nachhaltigkeit und Umweltschutz, sondern auch in Richtung mehr soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten, wird im Fraktionsbeschluss darüber hinaus gefordert, „dass nicht nur die Wirtschafts- und Finanzpolitik, sondern auch die Sozialpolitik auf europäischer Ebene stärker koordiniert wird“. Dazu gehöre es, „soziale Mindeststandards zu erfüllen, eine Mindestsicherung zu schaffen, die Rechte von Arbeitsnehmerinnen und Arbeitsnehmern zu stärken sowie den Zugang zur sozialen Sicherung für alle, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, zu ermöglichen“.
Bei allen Maßnahmen sei es sehr wichtig, dass „die wirtschaftspolitische Steuerung (…) demokratischer werden und stärker unter die Kontrolle des EU-Parlaments gestellt werden“ muss, damit sichergestellt sei, dass die Veränderungen wirklich im Interesse der EU-Bürgerinnen und Bürger und nicht einzelner Lobby- und Interessengruppen gestaltet werden.
Kritik am Green New Deal
Kritik am Green New Deal kommt nicht nur – wie zu erwarten – aus marktliberalen Kreisen, die in den Regulierungsmaßnahmen und staatlichen Investitionen einen zu großen Eingriff des Staates in den Markt sehen; vor allem auch durch Politiker der Linkspartei wurde das Konzept angegriffen und in einem Aufsatz von Ivonne Ploetz und Stefan Kalmring als „Instabile Reformblase“ bezeichnet. Zwar stimmen die beiden Linkenpolitiker den vorgeschlagenen Maßnahmen wie einem Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs zu: „Dies ist alles richtig und angesichts der drängenden Umweltprobleme mehr als vordringlich“. Jedoch werfen sie dem Konzept des Green New Deal vor, dass die wesentlichen Probleme in Gesellschaft und Wirtschaft außer Acht gelassen werden und keine Maßnahmen enthalten sind, um sie zu bekämpfen: „Lebensqualität, Glück und Zufriedenheit als gesellschaftliche Ziele jenseits eines Drei-Liter-Autos oder eines Hybridfahrzeugs werden sowenig erörtert, wie Möglichkeiten neuer kooperativer Arbeitsformen oder die vermehrte Schaffung frei verfügbarer Zeit“. Denn aus Sicht der Linkenpolitiker liegt das zentrale Problem in der Struktur des neoliberalen Wirtschaftssystems und einem zu großen Einfluss von privilegierten Gruppen auf politische Entscheidungsprozesse. Darauf zielt auch die Kritik am Green New Deal. Er sei „mit den immer noch dominierenden wirtschaftsliberalen Politikmodellen gut vereinbar und eine „Konfrontation mit den dominierenden Eliten in Wirtschaft und Gesellschaft“ werde für vermeidbar gehalten. Somit greife das Konzept des Green New Deal nicht tief genug, da die ungleiche Verteilung von Einkommen und Vermögen nicht ausreichend bekämpft werde und es auch keine Maßnahmen enthalte, die der breiten Bevölkerung zu mehr politischer Teilhabe verhelfen könnten: „Neue partizipativdemokratische Standards werden nicht gesetzt“. Der Green New Deal wird von den Linkenpolitikern also nicht deshalb in Frage gestellt, weil sie die Maßnahmen per se ablehnen, sondern weil sie ihnen für ein ganzheitliches wirtschaftliches Konzept nicht umfassend genug sind. Deshalb enthält der Aufsatz auch eine Vielzahl an Vorschlägen für eine grundsätzlich andere Wirtschaftspolitik, in der „Solidarökonomische Wirtschaftsformen, Initiativen zur ökonomischen Selbsthilfe, Selbstverwaltungsprojekte und Projekte der Gemeinwirtschaft (…) effektiv gefördert werden, so dass ein starker Dritter Sektor entsteht, der sich als Alternative zur Marktökonomie und dem Staatssektor begreift“. Hier wird deutlich, dass die Linkenpolitiker einen sehr grundlegenden Wandel in der Wirtschaft anstreben, der nicht nur eine Verbesserung und Neuaustarierung des jetzigen Systems ist, sondern eine grundlegende Abkehr vom derzeitigen Wirtschaftssystem. Dies zeigt sich auch in der Forderung, „die Frage nach alternativen Lebens-, Arbeits- und Vergesellschaftungsformen“ zu stellen und in der Kritik an der Vorstellung, das Wachstum in nachhaltigen Wirtschaftssektoren positiven Wandel von Gesellschaft und Wirtschaft beitragen könne: „Den Glauben, dass Wachstum die entscheidenden gesellschaftlichen Probleme zu lösen vermöge, teilt (…) [der Green New Deal] mit dem alten New Deal – für ein ökologisches Umbauprogramm in überraschender Weise“.
Postwachstumsökonomie
Im Bereich der Wachstumskritik kursiert eine Vielzahl von Begriffen wie „Wachstumsrücknahme“, „Wachstumswende“, „Entwachstum“ oder der französische Begriff „decroissance“ bzw. der englische Begriff „degrowth“. Die unterschiedlichen Begriffe sind nicht immer synonym verwendbar, da sich die Unterstützer der jeweiligen Bewegung bzw. des jeweiligen Konzeptes in der Radikalität ihrer Forderungen zum Teil unterscheiden. Jedoch vereint sie die zentrale Forderung nach einer Abkehr vom Wachstumsparadigma und von der Vorstellung, dass unbegrenztes Wachstum dauerhaft möglich und vorteilhaft für Gesellschaft und Wirtschaft ist. Insofern unterscheidet sich die Bewegung vom Green New Deal, der sich nicht grundsätzlich gegen Wachstum wendet und in bestimmten Bereichen Wachstum sogar als vorteilhaft und notwendig für die Umwelt und soziale Gerechtigkeit ansieht.
In Deutschland gehören Niko Paech, Hans Christoph Binswanger, Adelheid Biesecker und Gerhard Scherhorn zu den bekanntesten Wirtschaftswissenschaftlern, die Postwachstumskonzepte propagieren.
Unter dem Titel „Grundzüge einer Postwachstumsökonomie“ hat der Ökonom Niko Paech den Begriff Postwachstum näher definiert: „Als ‚Postwachstumsökonomie‘ wird eine Wirtschaft bezeichnet, die ohne Wachstum des Bruttoinlandsproduktes über stabile, wenngleich mit einem vergleichsweise reduzierten Konsumniveau einhergehende Versorgungsstrukturen verfügt“. Entscheidend ist hierbei, dass sich diese Postwachstumsökonomie „von landläufigen, auf Konformität zielende[n] Nachhaltigkeitsvisionen wie ‚qualitatives‘, ‚nachhaltiges‘, ‚grünes‘, ‚dematerialisiertes‘ oder ‚decarbonisiertes‘ Wachstum“ bewusst abgrenzt. Die Ursache für diese Abgrenzung liegt darin, dass Postwachstumsökonomen wie Paech überzeugt sind, dass Wachstum immer mit negativen ökologischen Folgen einhergeht. Eine sogenannte „Entkopplung“ von Wachstum und ökologischen Schäden, wie sie etwa im Green New Deal durch Wachstum im Erneuerbare-Energie-Sektor angestrebt wird, halten sie für nicht realisierbar. Zudem sei dauerhaftes Wachstum schon alleine wegen der immer weiter zunehmenden Verknappung von Ressourcen und Rohstoffen nicht möglich: „Das als ‚Peak Oil‘ apostrophierte Phänomen einer zu erwartenden Ressourcenverknappung weitet sich absehbar dergestalt aus, dass von einem herannahenden ‚Peak Everything‘ auszugehen ist“. Die Einschätzung, dass eine „Entkopplung“ nicht möglich ist, teilt auch der Ökonom Hans Christoph Binswanger in seinem Beitrag „Besser leben durch weniger Wachstum“ in der Zeit: „Ich glaube, das wird nicht funktionieren. Wenn Ressourcen effizienter genutzt werden, die Wirtschaft aber weiter wächst, wird das Wachstum die Einsparungen überkompensieren“.
Die Verantwortung für den „Wachstumszwang“ und die damit einhergehende Umweltzerstörung schreiben die Ökonomen dem Wirtschaftssystem zu, weshalb sie auch tiefgreifende Veränderungen daran fordern: „Mir geht es nicht um periodische Übersteigerung der Gewinnerwartungen, sondern um die Strukturen, die dem Finanzkapital die Gier nach immer größeren Anteilen an den Wirtschaftserträgen ermöglichen, ja geradezu aufdrängen“. Diese Strukturen sind aus Sicht der Wirtschaftswissenschaftler durch die Liberalisierung des Marktes entstanden. Problematisch sei hierbei beispielsweise die geschwächte Position von Gewerkschaften, die zunehmende Einflussnahme von Lobby- und Interessengruppen auf die Politik, die Externalisierung von Kosten für Umwelt und Allgemeinheit und der an den Finanzmärkten herrschende Zwang, immer höhere Gewinne einzustreichen. All dies habe dazu geführt, dass die Ungleichheit zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft größer geworden sei und dass Unternehmend zunehmend Privilegien genössen, die Privatleute nicht hätten. Unternehmen würden nicht ausreichend an den Kosten, die sie etwa durch Umweltschäden am Allgemeinwesen verursachen, beteiligt.
Um den negativen Folgen der Liberalisierung der Märkte entgegenzuwirken, stellen die Ökonomen eine Reihe von Forderungen auf, die sich alle zwei von Adelheid Bieseckers benannten, übergeordneten Zielen zuordnen lassen: „Umverteilung zugunsten der Armen (intragenerationale Gerechtigkeit) und Verringerung des eigenen Umweltverbrauchs (intergenerationale Gerechtigkeit)“. Auch in einer Vielzahl von eher allgemeinen Forderungen sind sich die Ökonomen einig. Sie fordern eine deutlich stärkere Beteiligung von Unternehmen an Sozialausgaben und Kosten für den Umweltschutz, eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte, ein weitgehendes Ende der Spekulationsgeschäfte, eine höhere Wertschätzung von Leistung, die nicht in erwerbstätiger Form für die Gesellschaft vollbracht wird (etwa das Aufziehen von Kindern) eine Förderung von alternativen Modellen des Wirtschaftens, eine Beteiligung von Arbeitsnehmern an Unternehmensanteilen, persönliche Haftung für Firmeneigentümer und eine regionalere Produktion von Waren.
Jedoch unterscheiden sich die wirklich konkreten Forderungen zum Teil sehr stark, so dass es schwer fällt, sie übergreifend zusammenzufassen. So fordert etwa der Ökonom Niko Paech eine „Boden- und Geldreform“, was unter anderem bedeuten würde, dass Boden in öffentliches Eigentum umgewandelt wird und somit eine radikale Veränderung des Eigentumsrechts bedingen würde. Gerhard Scherhorn hingegen stellt eher gemäßigte Forderungen, die sich zum Teil durchaus auch in einem SPD-Parteiprogramm wiederfinden könnten - „die Gesellschaft muss dann mehr Menschen als bisher ausbilden, beschäftigen, wertschätzen und besolden“ - während Hans Christoph Binswanger wiederum vor allem auf die Notwendigkeit von ökonomischen Veränderungen hinweist („Weniger Geldschöpfung“) und Adelheid Biesecker „Vorsorgendes Wirtschaften“ auf der „stofflich-energetischen“, „sozial-kulturellen“, „kulturell-symbolischen“ und „politischen“ Ebene fordert.
Die Gemeinsamkeiten der Wirtschaftswissenschaftler finden sich also eher bei der Benennung des Kernproblems (das neoliberale Wirtschaftsssystem/das Wachstumsparadigma) und des Kernziels (Ungleichheit bekämpfen, intra- und intergenerationale Gerechtigkeit). In ihrer Ausgestaltung differieren die Konzepte jedoch noch deutlich, auch wenn es einen gemeinsamen Nenner von geforderten Maßnahmen gibt.
Kritik an der Postwachstumsökonomie
Kritik an der Postwachstumsökonomie kommt von vielen Seiten, die das Konzept als zu einseitig und zu unrealistisch bewerten. In einem Gastbeitrag in der FAZ bezeichnet Michael Hüther, Direktor des Instituts für Deutsche Wirtschaft (IW), unter dem Titel „Die Grenzen der Wachstumskritik“ die pauschale Kritik am Wachstum als realitätsfern und die historischen Zusammenhänge verkennend: „Die heute zur Fundamentalkritik ausgewachsene Haltung wird im Licht der historischen Einordnung mehr als fragwürdig, denn sie verkennt im moralischen Überschwung elementare Zusammenhänge, die Wachstum in seiner tatsächlichen Bedeutung und seiner moralischen Bedingung kennzeichnen“. Aus Hüthers Sicht hat das Wirtschafswachstum seit Eintritt der Industrialisierung erstmalig für anhaltenden Wohlstand gesorgt und Armut nachhaltig bekämpft. Die Situation heute sei für viele Menschen unvergleichlich besser als vor Eintritt der Industrialisierung und somit sei es zu einseitig, Wachstum nur als schädlich abzustempeln. Die Kritik am Wachstum habe zwar durchaus auch positive Effekte gehabt – „Dabei hat die Kritik, welche die Voraussetzungen des Wachstums durch Naturkapital und Sozialkapital thematisiert, wichtige Impulse für eine ressourcenorientierte Ökonomik und eine verantwortliche Wirtschaftspolitik gegeben“ -; jedoch sei die These „dass es anderen erst dann bessergehen kann, wenn es einem selbst schlechtergeht“ problematisch. Denn sie verkenne, dass durch eine „Steigerung der Ressourcenproduktivität“ und Innovationen im bestehenden System ein höherer Grad an Wohlstand für alle erreicht werden könne. Bestehende Probleme sieht Hüther nicht als Fehler des Wirtschaftssystems als Ganzem, sondern als überwindbare Schwierigkeiten in einem noch nicht ganz optimal austarierten System an. So wünscht sich Hüther, dass der „konstruktive Kern“ der Wachstumskritik zu einer Verbesserung des Systems beiträgt, ohne dass „die aus der Vergangenheit gut begründete Zuversicht für die Lösungskompetenz freiheitlicher Gesellschaften“ verloren geht.
Welches Konzept ist die Lösung?
Green New Deal oder Postwachstumsökonomie – welches Modell liefert die passendere Antwort auf die Frage, wie eine zukunftsfähige Wirtschaft aussehen soll?
Erst einmal ist es wichtig, festzuhalten, dass die beiden Konzepte in Bezug auf viele Aspekte gar nicht so unterschiedlich sind, wie sie den ersten Blick erscheinen mögen. Beispielsweise ist die Forderung der Postwachstumsökonomen, sogenannte „externalisierte Kosten“ zu internalisieren, durchaus auch im Green New Deal enthalten. Denn hier werden an unterschiedlichen Stellen Maßnahmen gefordert, die die Externalisierung von Kosten rückgängig machen bzw. verhindern sollen. So soll etwa die Finanztransaktionssteuer zur Finanzierung von öffentlichen Infrastrukturprojekten beitragen und eine europaweite Koordination der Unternehmensbesteuerung eingeführt werden, um Unternehmen stärker an sozialen Kosten zu beteiligen. Auch eine CO2-Steuer ist Teil der Forderungen, ebenso wie eine Ressourcenverbrauchsabgabe. Das Konzept des Green New Deal enthält also durchaus Mechanismen, die dazu beitragen können, dass Unternehmen die wahren gesellschaftlichen, sozialen und Umweltkosten mitbezahlen und sie diese nicht auf die Gesellschaft abschieben können. Dies ist für einen grünen Wandel auch essentiell, denn wenn derartige Kosten externalisiert werden, ist der Wettbewerb für nachhaltig agierende Unternehmen sonst ungerecht verzerrt.
Nichtdestrotz enthält die Kritik der Postwachstumsökonomen am Green New Deal durchaus auch gute, sinnvolle Vorschläge und Ergänzungen zum Konzept. So wird etwa kritisiert, dass im Green New Deal wichtige Themen wie das Problem der zunehmend ungleichen Verteilung von Einkommen und Vermögen, die zunehmend schwache Position von Gewerkschaften, die unzureichende Regulation an den Finanzmärkten, sowie die zu große Einflussnahme von Interessen- und Lobbygruppen auf politische Entscheidungsprozesse zu wenig thematisiert werden. Dies ist zwar nur zum Teil zutreffend. Denn der Green New Deal enthält viele Forderungen, etwa nach einem europäischen Kartellamt, der Einführung eines Transparenz-/Lobbyregisters und einer grundlegenden Sanierung des Bankensektors, die das Potenzial haben, einer zu großen Einflussnahme von Unternehmen entgegenzuwirken. Auch ist die Forderung nach sozialen Mindeststandards, wie einer EU-weiten Basis-Arbeitslosenversicherung enthalten und es wird betont, dass durch Wachstum in grünen Sektoren Arbeitslosigkeit bekämpft wird und Arbeitsplätze gerade auch für Menschen aus dem Mittelstand und für Handwerker geschaffen werden. Dennoch ist es richtig, dass angesichts der immer stärker zunehmenden Konzentration von Vermögen das Thema Ungleichheit stärker im Vordergrund stehen könnte. Gerade auch in Anbetracht der weltweiten Armut wäre es notwendig, außenpolitische Forderungen, etwa nach einer gerechteren Handelspolitik mit Entwicklungsstaaten oder nach einer Abkehr von Waffenlieferungen an undemokratische Staaten zu stellen. Hier könnte der Green New Deal noch detaillierter und umfassender sein. Auch der Vorschlag, „Lebensarbeit“ also den unentgeltlichen Beitrag, den Menschen in der Gesellschaft zugunsten der Allgemeinheit leisten – wie etwa ehrenamtliches Engagement, die Versorgung der kranken Eltern, das Großziehen von Kindern, usw. – stärker zu belohnen und zu berücksichtigen, hat durchaus Berechtigung.
Allerdings kann umgekehrt bei den Forderungen der Postwachstumsökonomen kritisiert werden, dass diese im bestehenden System zum Teil nur schwer umsetzbar, wenn nicht sogar unrealistisch sind. Dies liegt wohl vor allem daran, dass die Ökonomen, indem sie Wachstum grundsätzlich ablehnen, unausweichlich auch ein gänzlich anderes Wirtschaftssystem fordern, das eher an eine Planwirtschaft erinnert. Dies ist problematisch, da alle Vorschläge, die ein derartiges Wirtschaftssystem voraussetzen, aktuell nicht umsetzbar sind. Insofern sind einige der radikaleren Forderungen der Postökonomen vor allem theoretische Konstrukte, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung als sehr niedrig einzustufen ist.
Hier zeigt sich auch die Stärke des Green New Deals, der durchaus in der Realität umsetzbar ist. Gerade weil er beides enthält – Kritik an den Handlungen von Unternehmen und ihrer manchmal zu großen Einflussnahme, aber auch die Forderung nach Kooperation mit und Unterstützung von grün agierenden Unternehmen – liefert er einen differenzierten Ansatz, der zur komplexen Situation gerecht wird. Denn die Behauptung, dass Wachstum nur durch einen erhöhten Ressourcenverbrauch möglich ist, vereinfacht die Lage zu sehr. Beispielsweise kann Wachstum auch im sozialen Sektor und im Dienstleistungssektor stattfinden und in Bereichen wie Bildung und Forschung gefördert werden. Sicherlich ist es generell wichtig, über die Grenzen und Konsequenzen von Wachstum nachzudenken; aber der Green New Deal sollte nicht zu sehr aus dem Grund in Frage gestellt werden, das er sich nicht ausdrücklich gegen Wachstum richtet. Denn er hat das Potenzial, die Perspektive auch in Bezug auf Wachstum nachhaltig zu verändern, sodass nicht mehr die Frage „Wie erreichen wir mehr Wachstum?“ im Mittelpunkt steht, sondern stattdessen die Frage „Wie muss unsere Wirtschaft gestaltet werden, damit sie das Leben der Menschen nachhaltig verbessert“. Dies ist ein Perspektivwechsel, den auch Postwachstumsökonomen begrüßen müssten, denn er ist der erste Schritt dahin, Wachstum nicht mehr pauschal zu fordern, sondern nur nach dann, wenn es gut für die Gesellschaft ist.
Der Green New Deal kann somit als realistisch umsetzbares Konzept auf jeden Fall einen wichtigen Beitrag leisten, um unser Wirtschaftssystem nachhaltiger, umweltverträglicher und sozialer zu gestalten. Er hat das Potenzial, Überkonsum abzuschwächen oder sogar zu stoppen, da durch eine Internalisierung von Umwelt- und sozialen Kosten Überkonsum teurer wird. Der große Vorteil beim Green New Deal ist, dass er – sogar von der Wirtschaft – als Chance begriffen werden kann, eine Veränderung zu erreichen, die dauerhaft gut für alle ist. Dabei könnten zentrale Themen wie die Konzentration von Einkommen und Vermögen – europaweit aber auch global – noch stärker berücksichtigt werden und insofern ist die Kritik der Postwachstumsökonomen an einigen Stellen durchaus berechtigt. Insgesamt ist der Green New Deal aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Quellen
http://www.nytimes.com/2007/04/15/magazine/15green.t.html?_r=2&
http://greennewdeal.eu/de/gruene-wirtschaft.html
http://www.zeit.de/online/2008/52/krise-als-chance-loske-2
https://www.boell.de/sites/default/files/green_new_deal_oeko_band3.pdf
https://de.wikipedia.org/wiki/Green_New_Deal
http://postwachstumsoekonomie.org/html/paech_grundzuge_einer_postwach.html
http://www.postwachstumsoekonomie.org/Biesecker-VorsorgendesWirtschaften.pdf
http://www.zeit.de/wirtschaft/2012-06/wachstum-bremsen-binswanger
https://de.wikipedia.org/wiki/Wachstumsr%C3%BCcknahme