18.02.2016

Nordstream: von Lebensversicherungen, Wettbewerb und neuen Kohlekraftwerken

Ein Kommentar vor Bärbel Höhn und Robert Habeck

Es gibt Lebensversicherungen auch in der Politik. Die Erdgaspipeline von Russland nach Europa ist eine solche Versicherung für die Ukraine. Die Pipeline mit Namen ‚Transgas‘ verläuft durch die Ukraine, die Slowakei und Tschechien und landet schließlich einen großen Teil des Gases im bayrischen Waidhaus an.

Russland will der Pipeline durch die Ukraine nun ihre Bedeutung nehmen. Die bereits bestehende Nord-Stream Pipeline durch die Ostsee nach Greifswald soll zwei zusätzliche Röhrenstränge bekommen und damit ihre Kapazität verdoppeln. Damit würde der Gastransport durch die Ukraine überflüssig. Und genau darum geht es Russland – die Ukraine zu umgehen und strategisch zu isolieren. Die Osteuropäer sind entsetzt und haben auf dem letzten EU Gipfel offen revoltiert.

Bis jetzt gibt es nur eine Absichtserklärung der beteiligten Unternehmen zum Bau der Pipeline: Gazprom auf der einen Seite und E.on, BASF, Shell und OMV (Österreich) auf der anderen Seite. Minister Gabriel setzt sich für eine Verwirklichung des Ausbaus ein und auch dafür, dass man bei den strengen EU-Vorgaben zu einer Trennung von Förderung, Transport und Verkauf im Gasbereich für den russischen Konzern auch mal ein Auge zudrücken könnte. Damit er so schalten und walten kann, sollte die ihm unterstellte Bundesnetzagentur die juristische Regulierungshoheit bekommen. Zu Recht ist der geplante Ausbau der Nord Stream Pipeline zu einem Politikum in der EU geworden. An ihm machen sich geopolitische, klimapolitische und europapolitische Fragen fest. Und in allen drei Fragen gibt der SPD-Teil der Bundesregierung die falschen Antworten.

Die Argumente der Befürworter sind nur auf den ersten Blick bedenkenswert. Deutschland und Europa würden durch die Verdopplung der Nord Stream Kapazitäten mehr Versorgungssicherheit bekommen, weil das unsichere Transitland Ukraine ausgeschaltet wird. Keiner erinnert sich gerne an den russisch-ukrainischen Gasstreit im Jahre 2006 und 2009, als Moskau die Preise für die Ukraine unverhältnismäßig erhöhen wollte, um unliebsame Regierungen in Kiew in die Knie zu zwingen. Auf dem Höhepunkt drehte Moskau der ehemaligen Sowjetrepublik den Gashahn zu. Die wiederum bediente sich aus den russischen Lieferungen für Europa, eben aus jener Transgas Pipeline und der Gasnotstand verlagerte sich nach Europa.

Aber bei dieser Betrachtung zu verharren, bedeutet der Kurzsichtigkeit von Politik nachzugeben. Die Gegenargumente gegen den Ausbau der Pipeline sind gewichtiger. Allen voran steht das geopolitische Argument der Stabilität der Ukraine selbst. Deutschland und die EU müssen das größte Interesse haben, dass die Situation in der Ukraine nicht eskaliert, sondern sich die Regierung stabilisiert, damit ihre Reformen greifen können. Die Transgas-Pipeline ist dabei so etwas wie die erwähnte Lebensversicherung. Russland braucht einen ungestörten Gastransit nach Europa, um das Putinsche System am Leben zu halten. Derzeit kann Putin die Lage in der Ukraine noch nicht komplett eskalieren oder das gasabhängige Land mit überhöhten Preisen in die Knie zwingen, ohne einen Energiekonflikt mit Europa zu gefährden. Es gibt also so etwas wie einen Kooperationszwang für die verfeindeten Lager. Dabei entscheidet natürlich nicht nur der Weiterbetrieb der Transgas über die Stabilität und Unabhängigkeit der Ukraine, sie ist aber eine wichtige Voraussetzung dafür.

Nordstream II dagegen würde die Ukraine isolieren und so Russland die Möglichkeit geben, den Konflikt mit der Ukraine weiter anzuheizen.

Das zweite Gegenargument ist die energiepolitische Unabhängigkeit Deutschlands selbst. E.on und BASF mit ihrer Tochter Wintershall wollen ihre alte gewachsene Russland-Connection ausbauen. Das ist gut für die Firmen, aber schlecht für die Versorgungssicherheit Deutschlands. Russland wird weiterhin der dominante Erdgasversorger für Deutschland bleiben, die Marktmacht der Gazprom wird wachsen. Momentan kommen rund 38 % des deutschen Gasverbrauches aus Russland. Dieser Anteil wird deutlich in Richtung 50 % im aktuellen Szenario wachsen, weil Holland und Großbritannien zunehmend als wichtige Gasexporteuere ausfallen; die dortigen Quellen versiegen. Russland war zwar immer ein verlässlicher Gaslieferant. Die Frage ist aber, ob man sich in eine noch größere Abhängigkeit vom System Putin begeben will. Statt einseitiger Abhängigkeit müssten die Weichen jetzt auf eine Diversifizierung der Quellen gestellt werden und nicht auf eine Zementierung der bestehenden Hauptimportwege. Das heißt in erster Linie eine Flüssiggas-Strategie (LNG) aufzusetzen. Das Flüssiggas wird in großen Tankern aus dem Mittelmeerraum, Afrika oder dem Nahen Osten angeliefert. Man wird Erdgas in Europa noch für einige Jahrzehnte brauchen. Gaskraft ist die Brückentechnologie der Energiewende und ergänzt sich hervorragend mit den Erneuerbaren Energien. Aber zur Mitte des Jahrhunderts – in 35 Jahren! – wird auch die Abhängigkeit vom Gas zu Ende gehen müssen. So jedenfalls sind die Klimaschutzpläne Deutschlands ausgelegt. Für den prognostizierten Verbrauch sind die momentanen Pipelines ausreichend. Neue Gaspipelines zu bauen, ist ungefähr das gleiche, wie neue Kohlekraftwerke einzuweihen. Wo viel Geld ausgegeben wird, steigt der politische Druck, dass diese Strukturen auch lange genutzt werden. Bei geplanten 10 Milliarden Euro für den Ausbau der Nord Stream entsteht ein großer Druck, der einen wirksamen Klimaschutz und damit auch das Auslaufen der Gasnutzung stark erschwert. Zwar muss auch für LNG Terminals viel Geld in die Hand genommen werden, im Vergleich zu Pipelineprojekten absolut überschaubare Summen, die schneller abgeschrieben sein dürften.

Klimaschutz, Stabilisierung insbesondere der Ukraine und eine geringere Gasabhängigkeit von Russland sind drei starke Argumente, Nord Stream 2 nicht zu bauen. Der Ausbau der Nord Stream Pipeline liegt nicht im Interesse Deutschlands, nicht im Interesse Europas und nicht auf der Linie des Pariser Klimaschutzabkommens. Da sich das CDU geführte Kanzleramt vornehm zurückhält und die Sozialdemokraten bei ihrer verkappten Wirtschaftspolitik machen lässt, richten sich alle Blicke auf die EU. Bisher hat sie bei Großprojekten dieser Art darauf geachtet, dass Wettbewerbs- und Transparenzregeln eingehalten und Wettbewerber nicht an den Rand gedrängt werden. An den europäischen Wettbewerbshütern ist die von Gazprom geplante South Stream Pipeline über Griechenland, Bulgarien und Italien Ende 2014 gescheitert. Wenn es um faire Regeln für einen funktionierenden Wettbewerb geht, sucht Gazprom in der Regel schnell das Weite. Es bleibt zu hoffen, dass die EU trotz Beschuss aus der deutschen Bundesregierung bei der Verteidigung dieser Spielregeln auch im Fall der Nord Stream Pipeline bleibt. Die Bundesregierung indes wäre gut beraten, die Verhandlungsposition der EU-Kommission gegenüber Russland zur Umsetzung des dritten EU-Binnenmarktpakets zu stärken anstatt die Marktmacht der Gazprom weiter wachsen zu lassen. Und die SPD sollte überdenken, ob die Stabilisierung der europäisch-russischen Beziehungen durch Nord Stream II nicht eher gefährdet als erreicht wird.

(Dieser Text erschien im Handelsblatt in einer gekürzten Version)